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Regulierung der künstlichen Intelligenz?  von Prof. J. Fischer, 20.06.2023  Am 14.06.23 hat das EU-Parlament für den Artificial Intelligence Act („AI-Act“ oder „KI-Verordnung“) abgestimmt und einen Änderungsvorschlag des Parlaments zur KI-Verordnung vorgelegt. Damit sind die Weichen für den sog. „Trilog“ und eine Regulierung künstlicher Intelligenz in Europa gestellt.  Kommt die Regulierung zu spät und lässt sich AI überhaupt regulieren? Es dürfte zunächst klar sein, dass nicht die AI selbst oder deren Entwicklung reguliert wird, sondern das Inverkehrbringen, das Angebot und die Anwendung. Eingeschränkt werden also die Akteure in der EU. Die AI selbst wird sich gleichwohl weiterentwickeln und weiter trainiert werden. Während die Enthusiasten jeden Entwicklungsschritt weitgehend unkritisch feiern sehen Zweifler nahezu apokalyptisch in zu Zukunft.        Immerhin lässt sich den Änderungsvorschlägen des EU-Rates entnehmen, dass die Dimensionen  der Entwicklung künstlicher Intelligenz auch von der Regulierung umfangreicher eingeschätzt  werden als dies noch beim Verordnungsentwurf der EU-Kommission der Fall war. Dies zeigt sich vor  allem an den Vorschlägen in Bezug auf Generative AI, die erweiterten  Anbieterpflichten und den  deutlichen Fokus auf die Folgen für Gesellschaft, Demokratie, Recht und Umwelt. Möglicherweise  ein Resultat der anhaltenden Debatten um ChatGPT und andere KI-Modelle. Mit dem offenen Brief vom 22. März 2023 (https://futureoflife.org/open-letter/pause-giant-ai- experiments) forderte die Innovations-Prominenz kürzlich medienwirksam eine sofortige 6- monatige Pause des Trainings von AI Systemen (über GPT-4 hinaus) und legte damit – ungeachtet  aller berechtigter Kritik – den Finger in die Wunde: Die Gefahr der AI geht vor allem vom Verlust  ihrer Beherrschbarkeit und Kontrolle aus!  Ob eine Regulierung, die erst lange nach der Marktdurchsetzung in Kraft tritt, geeignet ist, Risiken  zu minimieren, darf bezweifelt werden.  Der zeitliche Verzug wird auch daran deutlich, dass sich die Verfasser des offenen Briefes auf die AI- Leitsätze von Asilomar beziehen, die 2017 - also vor 6 Jahren - im Geiste einer friedlichen  koexistenten und konsensfähigen Gesellschaftsphilosophie entwickelt wurden. In Anbetracht des  offenen Wettbewerbes erscheint die Vorstellung einer wirksamen Selbstregulierung heute ohnehin  etwas realitätsfremd. Während sich nun in Europa schwerfällig ein Regulierungsrahmen entwickelt, diffundieren Chat  GPT, GPT-4, MidJourney & Co. längst in unseren Alltag und verändern diesen, noch bevor sich die  angedachten Risikobewertungen aus der Verordnung implementieren lassen. Faszination,  Enthusiasmus, Innovationstrieb und Wirtschaftsförderung schaffen derzeit schneller Fakten, als  Reflexion und Regulierung etwaige Folgen verhindern können. Nachdem im unternehmerischen Wettbewerb das Rennen um die erfolgreichste Implementierung  von KI exponentiell voranschreitet, führen Bildungsministerien, Schulen und Hochschulen die KI  modernitätsgläubig auch in das Bildungswesen ein. Immerhin könnte uns die Technologie helfen,  Komplexitäten zu verarbeiten, die uns in unseren Filterblasen überfordern. Neben dem schwindenden Sprach- und Konzentrationsvermögen unserer Gesellschaft ist damit der  Wettbewerb zwischen humaner und technologischer Kognitionsfähigkeit eröffnet. Für juristische  Dienstleistungen wird bereits ein 50%-iger Substitutionseffekt prognostiziert. Im Kreativbereich  dürfte das Urheberrecht zum deutlichen Wettbewerbsnachteil für den menschlichen Werkschöpfer  werden. Dass die KI sich auf eine reine Dienstfunktion beschränken lässt, glauben selbst die  Technologieführer nicht mehr. Die Diskussion um KI ist ein ständiger Abwägungsprozess zwischen Wettbewerbsfähigkeit und  Willensbildung. KI ist noch kein „Must have“ und sicherlich kein „No go“. Ihre Regulierung beginnt  mit der verständigen Rationalisierung in unseren Köpfen, nicht mit der Verordnung. #beyonddisruption